Diversität in der Medizin
Ein Start-up zu gründen war eigentlich nur der logische nächste Schritt. Moritz und Sebastian, die Gründer von acadim, haben sich schon vor ihrem gemeinsamen Medizinstudium kennengelernt. Während des Studiums haben sich beide ehrenamtlich für Geschlechtergerechtigkeit in der Medizin engagiert. Die Motivation hat sie bis heute nicht verlassen und aktuell konzentrieren sich die zwei voll und ganz auf die Gründung ihres Start-ups, das ihr Engagement auf die nächste Ebene hebt. Dabei werden sie von unserem Health+ Inkubator unterstützt. Im Interview berichten sie davon, was sie antreibt und wie sie es geschafft haben, neben dem Medizinstudium Energie für eine Gründung aufzubringen.
Stellt euch als Gründungsteam doch einmal kurz vor. Wer steckt hinter dem Start-up?
Wir, das sind Sebastian (er/ ihm) und Moritz (er/ ihm), sind zwei Medizinstudenten aus Greifswald. Moritz hat vor dem Studium als Gesundheits- und Krankenpfleger gearbeitet. Sebastian kam direkt nach dem Abitur zum Medizinstudium und hat zwischendrin eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Wir engagieren uns lokal und national in der Hochschulpolitik sowie Projekten der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) und haben dort eine bundesweite Initiative zu geschlechtersensibler Medizin gegründet, welche „Geschlecht in der Medizin“ oder kurz GiM heißt. Zur Zeit pausieren wir unser Medizinstudium für ein Jahr, um uns auf die Gründung und unsere Promotion zu konzentrieren. Für unsere Promotion sind wir beide in Greifswald an verschiedenen Instituten. Moritz schreibt seine Doktorarbeit in der Neonatologie und möchte später auch Kinderarzt werden. Sebastian promoviert am Helmholtz-Institut für One Health und arbeitet mit Multiresistenten Bakterien, der Bereich, in dem er später auch arbeiten möchte.
Beschreibt eure Gründungsidee:
Uns ist während des Studiums klar geworden, dass wir oft nur ein Schema lernen: Nämlich die Medizin am jungen, weißen, heterosexuellen, normalgewichtigen, neurotypischen cis-Mann. Und dass es dort einen erheblichen Unterschied zur tatsächlichen Gesundheitsversorgung gibt, das konnten wir nicht einfach ignorieren. Seit zwei Jahren arbeiten wir nun daran, der Diversitätsmedizin in Deutschland ihren notwendigen Platz zu bieten, indem wir bspw. Fortbildungen für Gesundheitsfachberufe, aber auch Veranstaltungen, Vorlesungsreihen und Netzwerke zu diesem Thema organisieren. Seit 2023 sind wir für das Ziel nun auch Mitarbeitende das neu gegründete Bochumer Institut für Diversitätsmedizin um Professorin Marie von Lilienfeld-Toal. Aus diesem Institut heraus wollen wir gemeinsam mit dem Team der Diversitätsmedizin unser Start-up gründen und sind dort von Beginn an auf wundervolle und offenherzige Unterstützung gestoßen. Auch wenn wir beide in Greifswald studieren, gehört acadim technisch gesehen damit zur RUB. So sind wir dann auch auf die Betreuung durch die WORLDFACTORY gekommen. Gemeinsam, da sind wir zuversichtlich, können wir viel bewegen und die Diversitätsmedizin in Deutschland voranbringen.
Wie kamt ihr auf den Gedanken, ein Start-up zu gründen?
Vor knapp drei Jahren haben wir ein bundesweites Projekt „Geschlecht in der Medizin“ aufgebaut, um geschlechtersensible Inhalte in die Curricula der Universitäten zu integrieren. Durch diese Arbeit fiel uns dann auf, dass es neben dem sozialen und biologischen Geschlecht noch so viele weitere Aspekte der Diversität gibt: vom Alter über die Herkunft bis hin zur Sexualität und den körperlichen und geistigen Fähigkeiten, um nur einige Weitere zu nennen. Und damit wir diese Thematik nachhaltig und gezielt angehen können, haben wir uns entschieden, aus einer Projektidee heraus ein Start-up aufzubauen.
Wie ließ sich die Gründung mit dem Studium/dem Beruf vereinbaren?
Neben dem Medizinstudium an einem Start-up zu arbeiten ist Vieles, aber vor allem nicht unmöglich. Unsere Zauberworte heißen: Zeitmanagement, Aufgabenteilung und Stressmanagment. Vor allem Letzteres sind wir durch das Studium gewöhnt, ob es nun Sport als Ausgleich, ein Abend einfach nur Nichts-Tun oder Stress-Backen ist: Wichtig war für uns, dass wir unsere Kräfte einteilen und darauf achten, nicht auszubrennen. Außerdem sind Prioritäten unfassbar wichtig. Um ehrlich zu sein, haben bei uns die Noten im Medizinstudium sicherlich unter der Gründung gelitten, aber in einem Rahmen, der für uns Beide akzeptabel und vertretbar ist. Sich bewusst zu machen, dass die eigenen Ressourcen begrenzt sind, und wir beide kein erstklasse Studium UND eine Gründung vollbringen können, hat uns definitiv geholfen.
Die WORLDFACTORY bedeutet für uns…
… einen Leitfaden zu haben. Als Medizinstudenten fällt es uns Beiden sehr schwer, auch einmal nicht auf das Medizinische zu achten, sondern die Gründung aus finanzieller und unternehmerischer Perspektive zu betrachten. Durch die WORLDFACTORY haben wir die Möglichkeit, uns neues Wissen in diesen Bereichen anzueignen und genießen die Unterstützung von Menschen, die Jahre lang in diesem Feld gearbeitet haben. Das nimmt uns Beiden viel Arbeit und Sorgen ab.
Was sind die größten Herausforderungen, auf die man stoßen kann und wie geht man damit um?
Das Durchhaltevermögen. Wir hatten in der Zeit mehrmals das Gefühl, dass wir nicht mit der Situation fertig werden: ein Problem geschafft und sofort erscheinen zwei weitere. Dadurch, dass wir uns dann aber auch Auszeiten genommen und ein sehr wertschätzendes Umfeld gesucht haben, konnten wir auch mit Rückschlägen umgehen. Es ist unserer Meinung notwendig zu wissen, dass es nicht immer schnurstracks in Richtung Zielgerade geht. Wenn man sich dessen bewusst ist und auch damit fertig wird, über einen längeren Zeitraum einzustecken, dann wird es sich mit Sicherheit lohnen.
Was ist das Besondere an eurem Start-up?
Diversitätsmedizin ist bisher eine Nische, in die wenige Menschen vordringen. Und für uns bedeutet das, dass wir die wenigen Akteur*innen miteinander verbinden, gemeinsam an einer Lösung arbeiten und somit die Gesundheitsversorgung nachhaltig verändern. Um Medizin für alle in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, ohne dass wir mit einem einzigen Schema versuchen, jede Person zu behandeln.
Wo steht ihr aktuell und was kommt als nächstes?
Wir arbeiten an der Ausgründung sowie an ersten Lehrinhalten und -formaten. Außerdem erweitern wir stetig unser Netzwerk und halten nach weiteren Kooperationen Ausschau. Ziel ist es für das Jahr 2024, als Start-up zu gründen und unsere Online-Plattform fertigzustellen.
Euer Tipp an alle Gründungsinteressierten:
Einfach machen. Sprecht mit Freund*innen über eure Idee, schaut nach Ideenwettbewerben und Unterstützungen in eurer Umgebung, redet mit erfahrenen Gründer*innen. Versucht euer Bestes und seht den Weg der Gründung als etwas Besonderes an: Dort lernt ihr unfassbare Fähigkeiten und vor allem euch selbst besser kennen.